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14. Kapitel:
Das Klageerzwingungsverfahren



Literatur: Wiesen/Höfling, Probleme des Klageerzwingungsverfahrens aus staatsanwaltschaftlicher Sicht unter besonderer Berücksichtigung der Judikatur des OLG Saarbrücken in “Dogmatik und Praxis des Strafverfahrens” Festschrift Gerhard Kielwein

Das Klageerzwingungsverfahren soll der Kontrolle der weisungsgebundenen Staatsanwaltschaft durch ein unabhängiges Gericht dienen. Die Staatsanwaltschaft kann zur Anklageerhebung gezwungen werden, wenn sie unter Verstoß gegen das Legalitätsprinzip von der Verfolgung abgesehen hat. Es hat schon wegen der allgemein sehr sorgfältigen Arbeitsweise der Generalstaatsanwaltschaften nur eine geringe praktische Bedeutung (Bischof, Die Praxis des Klageerzwingungsverfahrens NStZ 1988, 63). 1985 kam auf je 400 Einstellungen ein Klageerzwingungsverfahren. 84 % der Anträge wurden als unzulässig, davon 2/3 wegen mangelhafter Begründung verworfen. Im Jahr 1982 wurde von insgesamt 1792 Verfahren nur in 8 Fällen die Anklageerhebung durch den Senat angeordnet. Von diesen 8 Fällen erfolgte sechsmal Freispruch. Dennoch ist anzunehmen, dass das Verfahren schon durch seine Existenz eine heilsame Wirkung hat. Im Anwendungsbereich läuft es zunehmend leer, denn bei den Einstellungen nach Opportunitätsgesichtspunkten (§§ 153 ff. StPO), die sich häufen, ist keine richterliche Kontrolle zulässig (BVerfG StV 2002,114). , es sei denn, die Staatsanwaltschaft hätte unter Überschreitung ihrer Befugnisse auch bei Verdacht eines Verbrechens nach § 153 eingestellt. Bei den besonders gefährlichen Kriminalitätsformen (Rauschgift, organisierte Kriminalität) fehlt häufig ein Anzeiger, der ein gerichtliches Verfahren in Gang setzen könnte.
Der Antragsteller muss hohe Hürden überwinden, wenn sein Antrag überhaupt zulässig sein soll.
a) In Privatklagesachen kann der Verletzte nach alter germanischer Tradition die Strafverfolgung selbst betreiben und bedarf des Rechtsschutzes vor dem Senat nicht. Ein gleichwohl gestellter Antrag wird als unzulässig verworfen.
b) Der Antragsteller muss einen Rechtsanwalt finden, der den Antrag sachlich überprüft und die Verantwortung übernimmt, wenn er ihn nicht sogar selbst erarbeitet. Ein Antrag, der vom Mandanten herrührt und auf den der Anwalt lediglich Unterschrift und Stempel setzt, ist unzulässig (OLG Düsseldorf NJW 1990, 1002). Der Anwalt muss seine Vollmacht nachweisen. Ein Anspruch auf einen Notanwalt besteht nicht (OLG Düsseldorf MDR 1995, 193), da jeder im Bundesgebiet zugelassene Rechtsanwalt auftreten kann, ein Antragsteller also einen Rechtsanwalt finden wird, wenn sein Begehren nicht ganz unsinnig ist.
c) Den Antrag kann nur der Verletzte stellen, also der Bestohlene, Betrogene usw. Dieses Kriterium wird jedoch weit ausgelegt. (OLG Stuttgart NJW 1997, 1320, 2002, 2893: Religionsgesellschaft nicht; OLG Düsseldorf, MDR 1995, 86 Verletzter bei behaupteten Eides- oder Aussagedelikten ist wessen Stellung im Verfahren verschlechtert wurde) In Staatsschutzsachen gibt es ebensowenig ein Klageerzwingungsverfahren wie bei Gewaltdarstellungen im Fernsehprogramm (OLG Koblenz NStZ 1998, 40). Der Dienstherr ist kein Verletzter im Sinne des Klageerzwingungsverfahrens OLG Nürnberg NJW 1997, 1320. Wenn sich die Beteiligten im Zivilverfahren verglichen haben, fehlt das Rechtsschutzinteresse, um den Streit jetzt im Strafprozess weiter auszufechten (OLG Stuttgart NJW 2002,2191).
d) Der Antragsteller muss die Frist von einem Monat nach Bekanntgabe des Bescheides der Generalstaatsanwaltschaft wahren.
e) Der Antragsteller muss durch eine Anzeige das Verfahren in Gang gebracht haben. Die Anzeige kann nicht mehr gleichzeitig mit der Beschwerde erstattet werden.
f) Der gesamte Sachvortrag und die Zulässigkeitsvoraussetzungen müssen sich aus dem Antrag selbst ohne Rückgriff auf die Akten ergeben (OLG Schleswig NStZ 1989, 286;OLG Düsseldorf NJW 1995, 975; NJW 2000,3223). Notwendig ist also eine eigenständige, zusammenhängende Darstellung des Sachverhaltes (BerlVerfGH NJW 2004, 2728) und der bisherigen Prozessgeschichte.
Hinsichtlich des weiteren Inhaltes des Klageerzwingungsantrages haben die Oberlandesgerichte über die gesetzlichen Bestimmungen hinaus mit Billigung des Bundesverfassungsgerichtes (NJW 1979, 364;1988, 1773; 1993, 382) eine Reihe von weiteren Hürden aufgebaut, um querulatorische Anträge schon im Vorfeld abzuwimmeln.
Aus der Schilderung muss sich der hinreichende Verdacht einer strafbaren Handlung ergeben, die nach dem Sachvortrag auch nicht verjährt ist. Der Beschuldigte ist möglichst genau zu bezeichnen. Der Antragsteller muss den wesentlichen Gang der Ermittlungen darstellen, die Bescheide der Staatsanwaltschaft inhaltlich wiedergeben und sich mit diesen auseinandersetzen (OLG Saarbrücken Beschluss vom 29.3.2005 1 Ws 52/05).
Da der Senat prüft, ob die Beschwerdefrist eingehalten ist, muss die Antragsschrift das Datum der Bekanntgabe des Einstellungsbescheides und den Tag des Eingangs der Beschwerde bei der Generalstaatsanwaltschaft enthalten (Höfling a. a. O. OLG Hamm NStZ 1992, 250, NStZ RR 1997, 308). Der Beschwerdeführer muss lediglich die Einhaltung der Beschwerdefrist darlegen (BVerfG NStZ 2004,215). Überspitzte Anforderungen sind unzulässig (Sächs VerfGH NJW 2004, 2729).
In der Sache hat der Antrag nur Erfolg, wenn das Oberlandesgericht einen genügenden Anlass zur Erhebung der öffentlichen Klage sieht. Hierbei wird der Staatsanwaltschaft ein Beurteilungsspielraum eingeräumt. Dieser Prüfungsmaßstab ist verfassungsrechtlich unbedenklich (BVerfG NJW 2002,2859).
Es müssen stichhaltige Beweismittel für die Hauptverhandlung vorliegen.
Umstritten ist die Frage, ob das Klageerzwingungsverfahren auch mit der Anordnung an die Staatsanwaltschaft abgeschlossen werden kann, die Ermittlungen aufzunehmen, wenn wegen Verneinung eines Anfangsverdachtes die Einleitung eines Verfahrens abgelehnt wurde. Dies ist z. B. möglich, wenn die Staatsanwaltschaft ein bestimmtes Verhalten nicht als strafbar ansieht, diese Auffassung vom Senat aber nicht geteilt wird. Der Wortlaut des § 173 III StPO könnte zu der Auffassung verleiten, dass in diesem Fall das Oberlandesgericht alle Ermittlungen selbst bis zur Anklagereife bzw. Verwerfung des Antrags als unbegründet durchführen muss oder einen Richter hiermit beauftragen muss. Diese Auffassung würde aber nach Abschaffung der gerichtlichen Voruntersuchung (§§ 178-197 StPO) nicht mehr in das System der Strafprozessordnung passen, wonach die Staatsanwaltschaft als alleinige Justizbehörde für den Gang des Ermittlungsverfahrens verantwortlich ist , wohingegen der Untersuchungsrichter in Wegfall gekommen ist. (KG NStZ 1990, 355 mit Anm. Wohlers NStZ 1991, 30o;OLG Koblenz NStZ 1995, 50).Der Senat kann also die Bescheide der Staatsanwaltschaft und des Generalstaatsanwaltes aufheben und die Aufnahme der Ermittlungen anordnen (OLG Hamm StV 2002,128). Sind dagegen nur einzelne Punkte noch aufzuklären, veranlaßt der Senat selbst diese lückenschließenden Ermittlungen.
Zu den komplizierten Zulässigkeitsvoraussetzungen des Antrages an denen viele Rechtsanwälte scheitern, führt das OLG Bamberg zutreffend aus, dass die Prüfung von Formalien nicht zum Selbstzweck werden darf (NStZ 1989, 544, 543;1990, 202). Falls infolge eines Formfehlers des Rechtsanwaltes die Fristen versäumt sind, kann dem Antragsteller keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gewährt werden (OLG Düsseldorf NJW 1993, 341) Die Anforderungen müssen sich auch nach der Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage richten. (BVerfG NJW 1993, 382 mit Anm. Stoffers in NStZ 1993, 497-499 und NJW 2000,1027).
Über den Klageerzwingungsantrag wird durch Beschluss entschieden. Die Regel ist die Verwerfung als unzulässig oder unbegründet. Bei Verwerfung als unzulässig kann das Klagerzwingungsverfahren wiederholt werden, wenn die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wieder aufgenommen hat und erneut einstellt (OLG Braunschweig NJW 1961, 934). Die Verwerfung als unbegründet hat nach § 174 II eine beschränkte Rechtskraftwirkung. Der Antragsteller muss sich mit etwaigen neuen Tatsachen oder Beweismitteln zunächst an die Staatsanwaltschaft wenden und sich von dieser bescheiden lassen. Im seltenen Erfolgsfall beschließt der Senat in der Form des § 200 die Erhebung der Anklage. Dieser Beschluss muss dann von der Staatsanwaltschaft ausgeführt werden, die danach aber in ihrer Entscheidung frei ist, einer Einstellung nach § 153 zustimmen kann oder in der Hauptverhandlung Freispruch beantragen kann. In einem Ausnahmefall hat das OLG Stuttgart NJW 1997, 3103 mit Zustimmung der Generalstaatsanwaltschaft 153 a entsprechend angewandt , wenn das OLG die gesamten Ermittlungen geführt hat und die sonstigen Voraussetzungen vorliegen. Richtiger dürfte es sein, in diesem Fall die Einstellungsverfügung aufzuheben und das weitere Verfahren der Staatsanwaltschaft zu übertragen.
Beispiel für eine Entscheidung (Auszug)
27 AR 532/99 = 1 Ws 213/99 Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken
Beschluss vom 17. Dezember 1999
Der Antrag wird als unzulässig verworfen.
Gründe
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist unzulässig, da er nicht den inhaltlichen Zulässigkeitserfordernissen des § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO entspricht.
Mit dem Klageerzwingungsverfahren soll nach überwiegender Auffassung gerichtlich geprüft werden, ob mit der Einstellung des Verfahrens das Legalitätsprinzip verletzt worden ist. Die Grundlage für dieses Verfahren ist der Antrag des Verletzten. Mit ihm soll das Gericht in die Lage versetzt werden, ohne Rückgriff auf die Ermittlungsakten eine Schlüssigkeitsprüfung vorzunehmen. Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung muss deshalb, wenn er den Anforderungen nach § 172 Abs. 3 Satz 1 StPO entsprechen soll ,
- eine zusammenhängende, aus sich heraus verständliche Schilderung des Sachverhaltes, der bei unterstelltem hinreichendem Tatverdacht die Erhebung der öffentlichen Klage rechtfertigen würde,
- zumindest in groben Zügen eine Darstellung des bisherigen Ganges des Ermittlungsverfahrens,
- bei Antragsdelikten Ausführungen über die Rechtzeitigkeit der Antragstellung,
enthalten, so dass dem Gericht ermöglicht ist, ohne Einblick in die Akten, allein aus dem Vortrag des Antragstellers erkennen zu können, ob die vorgetragenen Tatsachen, ihre Richtigkeit unterstellt, geeignet sein können, das mit dem Antrag verfolgte Ziel, nämlich die Erhebung der öffentlichen Klage, zu rechtfertigen.
Dazu gehört auch, dass der Antrag Angaben über die Einlassung des Beschuldigten sowie über den Inhalt der staatsanwaltschaftlichen Bescheide enthält und Ausführungen dazu, worin die behauptete Unrichtigkeit dieser Bescheide gesehen wird (BVerfG NJW 1993,382; 1979,364;OLGe Düsseldorf VRS 84,450; MDR 1981,161; Schleswig NStZ 1989,286; München MDR 1980,250; Stuttgart MDR 1979,695; ständige Rechtsprechung des Senats; Löwe Rosenberg Rieß 24.Aufl., § 172 Rn. 143ff., 151; Kleinknecht Meyer-Goßner , StPO 43. Auflage § 172 Rn. 27 mit weiteren Nachweisen; teilweise abweichend OLG Celle MDR 1987,518; KMR -Müller StPO, 8. Aufl. § 172 Rn. 52)
Diese für die Zulässigkeit eines Klageerzwingungsantrages wesentlichen Ausführungen dürfen weder durch eine Bezugnahme auf Akten, noch auf frühere Eingaben, noch auf andere Schriftstücke ersetzt werden. Auch auf Anlagen zur Antragsschrift darf zur Darlegung wesentlicher Zulässigkeitsbedingungen nicht Bezug genommen werden (ständige Senatsrechtsprechung; Meyer-Goßner § 172 Rn. 30).Zusatz des Verfassers: Im Ausgangsfall hatte die Staatsanwaltschaft die Einleitung eines Verfahrens mit der Begründung abgelehnt, dass sich aus der Anzeige kein Anfangsverdacht ergibt.